Geschichtsstunde-Fussball in der DDR

  • Quelle: Hans-Joachim Teichler: Fussball in der DDR


    Fußballbegeisterung und politische Interventionen


    Nachdem die Fesseln des Kommunalsports, die auch vorher oftmals heimlich gelöst worden waren, im Frühjahr 1948 ganz fielen, zeigte sich auch in der sowjetischen Besatzungszone, dass der Wunsch zum sportlichen Vergleich unter den Aktiven und das Bedürfnis nach guter sportlicher Unterhaltung und Zerstreuung bei den Zuschauern trotz aller widrigen Lebensumstände ungebrochen bzw. sogar gestiegen war. 40.000 bzw. 50.000 Zuschauer sahen die Endspiele der ersten beiden Ostzonenmeisterschaften. Im Schnitt über 10.000 Zuschauer verfolgten die Spiele um die erste DDR-Meisterschaft 1949/50. Diese Attraktivität des Fußballs und die Begeisterung der Massen für ihre Mannschaften hatte die Führung des Deutschen Sportausschusses in Planitz am 1. Mai 1949 und in Dresden am 16. April 1950 unmittelbar erlebt. Sie hatte dabei aber auch erfahren, wie fußballerische Wut und Enttäuschung sich in Proteste gegen vermeintlich politische Benachteiligungen verwandeln konnten. Die Beziehung der Partei- und der Sportführung zum Fußball sollte seit diesem Zeitpunkt nicht mehr abreißen. Meist gestaltete sich dies zum Nachteil des Fußballs, vor allem in der Anfangsphase, in welcher die DDR-Auswahl erst 1955 - ein Jahr nach dem westdeutschen Weltmeistertitel 1954 - den ersten Sieg in einem Länderspiel verbuchen konnte. Später deuten die zahlreichen Fußballbeschlüsse der SED-Führung eher auf eine partielle Unregierbarkeit des Fußballs hin, dem es dank seiner Massenpopularität immer wieder gelang, lokale Bündnisse und Umgehungsstrategien gegen zentrale Vorgaben zu schmieden.


    In der stalinistischen Phase der DDR überwogen allerdings sportfremde Eingriffe: So wurde in der Saison 1950/51 der FDGB-Pokal durch eine Pokalrunde innerhalb der neugebildeten gewerkschaftlichen Sportvereinigungen (SV) ersetzt. Man ermittelte nun zwar die jeweils beste Mannschaft der SV Stahl, der SV Motor, SV Chemie usw. - eine Leistungssteigerung konnte durch diese inflationäre Vermehrung der Pokalspiele jedoch nicht erreicht werden. Schon ein Jahr später kehrte man zur alten Lösung zurück. Zahlreiche andere Eingriffe (wie der Wechsel der Spielzeit 1956) und der permanente Wechsel des Ligaunterbaus gehörten in der Folge zu den Konstanten des DDR-Fußballs. "Die wohl aberwitzigste Inszenierung lieferten die Funktionäre jedoch 1951 ab. In der Vorsaison waren drei Ostberliner Mannschaften in die Oberliga eingegliedert worden. Sie mussten stark gehandicapt antreten, da ihnen die besten Fußballer nach Einführung der Westberliner Vertragsliga davongelaufen waren. Es gab dort zwar nicht viel zu verdienen, aber immerhin etwas. Zum Ende des Spieljahres zählten alle drei Teams aus Ostberlin zu den Absteigern. Der VfB Pankow ließ sich geradezu in rekordverdächtiger Manier abschießen: 0 : 9, dreimal 1 : 8, zweimal 0 : 7, 0 : 6, 0 : 5 usw. lauteten die Ergebnisse. Am Ende stand er mit 29 Niederlagen und 131 Gegentoren auf dem letzten Platz. Die Mannschaft stieg jedoch nicht ab. Warum? Die DDR-Sportführung verfügte, dass das Berliner Regierungsviertel einen politischen Anspruch auf einen Oberligaplatz habe. Es gab noch einen Zuschlag: Berlin als politisches, wirtschaftliches Zentrum braucht neben Pankow noch eine zweite Oberligaelf; also durfte auch Union Oberschöneweide, nunmehr als Motor, bleiben.


    Wie wenig sinnvoll dieser Eingriff am grünen Tisch war, zeigte sich, als Einheit Pankow in der nächsten Saison (1951/52) wiederum weit abgeschlagen mit 94 Gegentoren den letzten Platz belegte. Wieder hatte die Mannschaft aus dem Ostberliner Regierungsviertel mit 32 eingesetzten Spielern den größten Kader zur Verfügung, gleichzeitig aber auch die wenigsten Zuschauer der Liga gehabt. Unter den spezifischen Bedingungen der offenen Grenze ließ sich im Osten Berlins kein spielstarker ziviler Club installieren. So blieb nichts anderes übrig, als auf eine "uniformierte" Mannschaft zurückzugreifen, die für das Fußballspielen voll, d.h. wie Profis bezahlt wurde. So wurde der ASK Vorwärts Berlin ab der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre zur spielstärksten Mannschaft Berlins und in der Folge sechsmal DDR-Meister. "Geboren" wurde die Mannschaft aber in Leipzig. Unter Rückgriff auf Studenten der neu gegründeten Deutschen Hochschule für Körperkultur und auf Spieler unterrangiger Mannschaften der Kasernierten Volkspolizei (KVP) wurde vor der Saison 1951/52 eine KVP-Mannschaft "Vorwärts Leipzig" gebildet und ohne sportliche Qualifikation als 19. Mannschaft in die Oberliga eingereiht. Die Retortenmannschaft schaffte mit Mühe den letzten Nichtabstiegsplatz der Liga.


    Die Mannschaft von Vorwärts KVP Leipzig kämpfte zu Beginn der Saison 1952/53 um ihr sportliches Überleben und war weit davon entfernt, zur Popularität der neuzubildenden Armee beizutragen, die noch als Kasernierte Volkspolizei firmierte. Im Umfeld der propagandistisch flankierten Aufrüstung im Jahr 1952 sollte der Armeesport auch fußballerisch prominent in der Liga vertreten sein. Für den Neuaufbau von Armee- und Dynamo-Mannschaften fielen die üblichen Sperrfristen bei Spielerwechseln weg, womit eine klare Bevorzugung der "uniformierten" Sportgemeinschaften gegeben war. Dies versuchte die Sektion Fußball mit Unterstützung des frisch ernannten, gerade 27-jährigen Staatssekretärs im Staatlichen Komitee für Körperkultur und Sport, Manfred Ewald, zu nutzen, indem sie die Spieler von Chemie Leipzig, die 1951 Meister und 1952 Liga-Dritter geworden waren, zum Wechsel zu Vorwärts Leipzig zu bewegen suchten.


    Chemie Leipzig verlor so mit einem Schlag acht Stammspieler, ergänzte sich aber in der Weihnachtspause erfolgreich, die heimische Kulisse wuchs auf über 40.000 Zuschauer an - die Legende von Leutzsch war geboren.[14] Sportliche Sympathie und politischer Protest dürften sich hierbei ergänzt haben. Im Derby wurde Vorwärts zweimal besiegt, Chemie war die bessere und beliebtere Leipziger Mannschaft und wurde in der nächsten Saison sogar Vizemeister. Dagegen spielte die mit den Chemie-Spielern verstärkte Mannschaft von Vorwärts Leipzig vor wesentlich weniger Zuschauern gegen den Abstieg. Die im Frühjahr 1953 erfolgte Umsiedlung nach Berlin wurde damit begründet, dass die Hauptstadt eine Oberligamannschaft brauche.


    Mit dem ASK Vorwärts und dem SC Dynamo Berlin (1954/55 aus Dresden importiert) buhlten ab Mitte der fünfziger Jahre gleich zwei Mannschaften um die Gunst der Berliner Zuschauer. Die Armee-Mannschaft setzte sich durch und holte 1958 den ersten Meistertitel nach Ostberlin, dem fünf weitere in den sechziger Jahren und zwei Pokalsiege folgten. Aus welchen Gründen die Armeesportler 1971 in die "Fußball-Einöde Frankfurt/Oder" verpflanzt wurden, wo sie nie mehr eine führende Rolle spielten und sogar zweimal abstiegen, ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Der damalige ASK-Spieler und spätere Sportjournalist Jürgen Nöldner rätselt noch heute über die Hintergründe des Umsiedlungsbeschlusses.[15] Letztlich landen alle Spekulationen immer wieder bei MfS-Chef Erich Mielke, der den Verteidigungsminister Heinz Hoffmann irgendwie überzeugt haben musste, dass zwei Clubs der "bewaffneten Organe" in Berlin zuviel waren.


    Die Rolle der "Vorzeigemannschaft" aus Berlin übernahm in den folgenden Jahren der SC Dynamo, der seit 1966 BFC Dynamo hieß und zu Mielkes Lieblingsclub avancierte. Das ambivalente Image des BFC war geprägt durch sportliche Erfolge in Serie (der BFC wurde zwischen 1979 und 1988 zehnmal in Folge DDR-Meister). Diese resultierten einerseits aus einer einseitigen sportlichen Nachwuchsarbeit, wodurch die besten Spieler automatisch beim BFC spielten, und andererseits aus einer systematischen politischen Einflussnahme. So wurden zum Beispiel Spieler gezielt als IM (Inoffizielle Mitarbeiter) durch das MfS angeworben und Schiedsrichterentscheidungen von der Staatssicherheit "gekauft", um die sportlichen Erfolge sicherzustellen.


    Die hier beschriebene "Delegierung" von ganzen Mannschaften hatte ihren Höhepunkt in den fünfziger Jahren. Die Praxis der Konstruktion starker Mannschaften durch Verschiebung ganzer Mannschaftsteile (so zum Beispiel auch bei der SG Empor Lautern, die nach Rostock "verlegt" und dort zum FC Hansa wurde) oder durch angeordnete Fusionen blieb jedoch auch noch in den sechziger Jahren gängige Praxis. Aus einer eigentlich logischen Konzentration der Kräfte, die allerdings nicht über den freien Wettbewerb auf dem Rasen, sondern am grünen Tisch vorgenommen wurde, entstanden in der Saison 1963/64 noch heute fortwirkende Lokalrivalitäten in Leipzig und Berlin: Auf Vorschlag des Deutschen Turn- und Sportbundes (DTSB) fasste das Zentralkomitee (ZK) der SED am 5. Dezember 1962 im Rahmen einer Beratung über den Stand der Olympiavorbereitungen für 1964 "und zur weiteren Entwicklung der Leistungen in den olympischen Sportarten", zu denen auch Fußball gehörte, den Beschluss, "den Bezirksleitungen der Partei in Berlin, Leipzig (...) vorzuschlagen, durch Zusammenschluss der Sportclubs Einheit Berlin, Rotation Berlin, und TSC Oberschöneweide einen zivilen Sportclub der Hauptstadt der DDR sowie durch Vereinigung der Sportclubs Rotation Leipzig und Lokomotive Leipzig (...) die Zersplitterung des Leistungssports in diesen Zentren zu überwinden und die Voraussetzung für eine höhere Qualität der Leitung des Leistungssportes und einen wirkungsvolleren Einsatz der Kader zu schaffen".


    Bei der hektischen Umsetzung des Beschlusses wurden die vermeintlich besten Spieler von Lok und Rotation Leipzig dem SC Lokomotive zugeordnet, der Rest fand sich in der BSG Chemie Leipzig wieder und entwickelte einen ungeheuren sportlichen Trotz. Die vermeintlich schwächere Mannschaft wurde überraschend Meister, und der SC Leipzig (ab 1966 1. FC Lokomotive) belegte den dritten Platz. Beide Derbys im Leipziger Zentralstadion gewann der Underdog.


    Fußball - planungsresistent und unregierbar?



    Die Unberechenbarkeit des Fußballs, die Überraschungssituationen im Spiel und die Kombination zahlreicher individueller Faktoren bis hin zur Emotionalität der Anhängerschaft machen einen Großteil der Reize dieses Spiels aus. In einer Planwirtschaft waren Konflikte und Störfälle daher programmiert.[18] So weigerten sich zahlreiche Betriebssportgemeinschaften aus verständlichem Eigeninteresse, ihre besten Spieler in die ab 1954 gebildeten Sportclubs zu delegieren. Die ZK-Abteilung "Leitende Organe der Partei und Massenorganisationen" klagte noch ein Jahr später: "Bis zum heutigen Zeitpunkt ist die Konzentrierung des Leistungssports auf der Basis der einzelnen Sportvereinigungen noch nicht abgeschlossen. Eine ganze Reihe von talentierten Sportlern werden in den Betriebssportgemeinschaften zurückgehalten. Die BSG-Leitungen sowie die Gewerkschafts- und Parteileitungen der Betriebe unternehmen oft alle Winkelzüge, damit die Sportler nicht in die Sportklubs eintreten.


    Obwohl die Partei- und Staatsführung den Sportclubs schon im Februar 1955 die gegen die damals geltende Amateursregelung verstoßende Summe von 10,8 Millionen DM "zur Regelung der Gehalts- und Lohnzahlungen für 1.000 Sportler, die in den Sportclubs ganztägig trainieren, und zur stundenweisen Abstellung von ca. 3.000 weiteren Sportlern" zur Verfügung stellte,[20] blieben die verdeckten Zuwendungen der Betriebe und Clubs (!) an die Fußballer ein Dauerproblem des DDR-Fußballs bzw. der SED. So berichteten die im ZK für Sport zuständigen Parteikontrolleure über ihren Kampf gegen allzu großzügige Arbeitsfreistellungen für Sportler, was wohl zumeist die Fußballspieler betraf: "Dieses Ziel zu erreichen, wird uns erschwert durch die eigenmächtigen Handlungen zahlreicher Betriebsleiter sowie Partei- und Gewerkschaftsfunktionäre in den volkseigenen Betrieben. Diese gehen nach wie vor mit ihrer Großzügigkeit gegenüber verschiedenen Sportlern in Bezug auf Gehälter, Arbeitsbefreiung, Prämierung usw. über das Erlaubte hinaus. In manchen Betriebssportgemeinschaften werden 50 Prozent der Mittel und noch mehr für eine einzige Fußballmannschaft verausgabt.
    In den Akten der "Zentralen Kommission für Staatliche Kontrolle" finden sich zahlreiche weitere Beispiele der Konzentration der betrieblichen Sportmittel auf die ersten Fußballmannschaften.
    Auch in den 1954/55 neugegründeten Sportclubs, die den Leistungssport insgesamt entwickeln sollten, galt das Hauptinteresse der Verantwortlichen - mit den entsprechenden Folgen für den Mittel- und Personaleinsatz - der Volkssportart Nummer eins, dem Fußball.


    Die Vernachlässigung der anderen Sportarten führte dann 1965/66 zur Herauslösung der Fußballsektionen aus den Sportclubs und zur "Bildung von Fußballclubs"[23]. Dass also zehn Fußballvereine aus dem Osten in diesem Jahr ihr 40. Jubiläum feiern können, ist nicht etwa auf eine Rückbesinnung auf den traditionellen Fußballvereins-Gedanken bei den DDR-Oberen zurückzuführen, wie es damals und heute in Pressekommentaren zu lesen war. Es handelt sich bei dem Beschluss des Sekretariats des ZK der SED vom 18. August 1965 zur Bildung der Fußballclubs um den klaren Versuch, den Fußball wieder unter die politische und fachliche Kontrolle des DTSB zu bekommen, um auch im Fußball "einen erheblichen Leistungsaufschwung zu gewährleisten".[24] Gleichzeitig handelte es sich auch um eine Abtrennung des Spitzenfußballs vom übrigen Leistungssport. Medaillengewinner und Weltmeister in anderen Sportarten bekamen so nicht mehr mit, dass Fußballer aus dem Mittelfeld der Oberliga besser bezahlt und behandelt wurden. Obwohl 1967 mit der demonstrativen Bestrafung der BSG Stahl Eisenhüttenstadt - eine Sonderfinanzrevision des Finanzministeriums im VEB Eisenhüttenkombinat Ost hatte unversteuerte Sonderzahlungen an Spieler des Zweitligisten aufgedeckt[25] - ein Exempel zur Durchsetzung der Gehaltsobergrenzen statuiert wurde, blieb die Zahlung hoher Prämien gängige Praxis. Ob im Sekretariat des ZK der SED, dem diese Missstände im Dezember 1969 berichtet wurden, mehr über den Verstoß gegen die im Fußballbeschluss von 1965 festgelegten Gehaltsobergrenzen von 800 bis 1.200 Mark oder die lang anhaltende internationale Erfolglosigkeit des DDR-Fußballs diskutiert wurde, ist nicht überliefert (der Deutsche Fußball-Verband der DDR hatte sich weder für die Europameisterschaft noch für die Weltmeisterschaft 1966 und auch nicht für die Olympischen Spiele 1968, bei denen die DDR erstmals eigenständig auftrat und es ihr sogleich gelungen war, die Bundesrepublik in der Medaillenzahl zu überflügeln, qualifizieren können). Vermutlich war Letzteres der Fall, denn es wurde beschlossen, die Fußballclubs aus den bisherigen Trägerbetrieben herauszulösen und als DTSB-Leistungszentren der jeweiligen Bezirke unter gleichem Namen weiterzuführen. Ebenso wichtig war eine personalpolitische Intervention der ZK-Abteilung Sport: "Im Interesse der Erfüllung der Zielstellung - 1972 Medaillengewinn bei den Olympischen Spielen und 1974 Teilnahme an der Fußballweltmeisterschaft in Westdeutschland - sollte unbedingt sofort eine personelle Änderung vorgenommen werden. Der zur Zeit progressivste und konsequenteste Trainer ist unserer Meinung nach der Genosse Georg Buschner vom FC Carl Zeiss Jena.


    Die Ära Buschner (1970 - 1981) wurde zur erfolgreichsten Epoche des DDR-Fußballs. Die DFV-Auswahl nahm 1974 erstmalig an einer Fußballweltmeisterschaft teil, besiegte den späteren Weltmeister und wurde WM-Sechster. Nach der Bronzemedaille bei den Olympischen Spielen 1972 gewann die Buschner-Elf 1976 die Goldmedaille nach einem 3 : 1 gegen Polen. Am 8. Mai 1974 besiegte der 1. FC Magdeburg im Finale des Europapokals der Pokalsieger den AC Mailand mit 2:0. Bei den Olympischen Spielen in Moskau gewann die DDR-Vertretung die Silbermedaille. 1981 erreichte Carl Zeiss Jena das Endspiel im Europapokal der Pokalsieger.


    Neben der Person des DDR-Auswahltrainers begann sich die Nachwuchsarbeit in den Trainingszentren und Kinder- und Jugendsportschulen auszuzahlen. Allerdings fühlte sich der Fußball bald danach durch das 1973 eingeführte System der "Einheitlichen Sichtung und Auswahl" (ESA) im Rahmen der Talentauslese benachteiligt, da die medaillenintensiven Sportarten Vorrang hatten. "Die langen Fußballer sind bei uns Ruderer", klagte 1986 der Trainer des FC Carl Zeiss Jena, Lothar Kurbjuweit.[27] Die zentrale Steuerung des Leistungssports - in anderen Bereichen (neben dem ebenfalls zentral gesteuerten undflächendeckenden Doping) ein Erfolgsgarant des DDR-Sports - funktionierte im Fußball nur beschränkt. Vor allem gelang es weder der SED noch der DTSB-Führung, das "Gehaltsregulativ des DFV der DDR" durchzusetzen. Die Fußballer der BSG Stahl Brandenburg verdienten Mitte der achtziger Jahre mit 6.000 Mark monatlich mehr als doppelt so viel wie der Generaldirektor ihres Trägerbetriebes.
    Der Umfang der Sonderzahlungen bis in die dritte Spielklasse bewog den für Sport zuständigen ZK-Sekretär Egon Krenz sogar, eine Konferenz der Ersten Bezirkssekretäre gemeinsam mit den Generaldirektoren der Trägerbetriebe vorzuschlagen. Einziger Tagesordnungspunkt: die Durchsetzung des Gehaltsregulativs des DFV. Erich Honecker, der im Politbüro offen das Profitum der Fußballer eingestanden hatte, lehnte den Vorschlag von Egon Krenz ab. Bleibt die Frage nach dem Grund: War es Resignation gegenüber den Lokal- und Partikularegoismen im Fußball, war es Ausfluss einer bewussten Laissez-faire-Haltung, welche den "Bezirksfürsten" und Wirtschaftsbossen ihre Spielwiese ließ, oder war es nur die weltweit verbreitete Fußball-"Blindheit" der Politik allgemein?