War die Fussballkatastrophe in Ägypten mit über 70 Toten ein geplanter Racheakt von Polizei und Militär?

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    Vorgeschichte:
    Die ägyptische Fussball-Revolution
    von Peter Blunschi -
    Fussball-Hooligans spielten beim Aufstand gegen Hosni Mubarak eine zentrale Rolle. Auf dem Tahrir-Platz in Kairo kämpften sie an vorderster Front für die Regimegegner.
    Auf dem Höhepunkt des Aufstands gegen Präsident Hosni Mubarak vor einem Jahr tobten auf dem Tahrir-Platz im Zentrum von Kairo schwere Kämpfe. Zu allem entschlossene Mubarak-Anhänger versuchten, den Protest der Regimegegner zu zerschlagen. Doch diese hielten stand. Sie bauten Barrikaden und schlugen die Mubarak-Truppen zurück. Eigentlich erstaunlich angesichts einer vermeintlich unorganisierten Bewegung ohne klare Anführer.
    Des Rätsels Lösung ist so verblüffend wie einleuchtend: Auf Seiten der Opposition verteidigten hartgesottene, in Strassenkämpfen erfahrene Fussballfans den Platz. «Die Ultras haben eine wichtigere Rolle gespielt als alle politischen Parteien», sagte der prominente ägyptische Blogger Alaa Abdel Fattah dem Fernsehsender Al Dschasira. «Vielleicht sollten die Ultras das Land regieren», meinte er scherzhaft.


    Bei den Kämpfen kamen Ultra-Taktiken zum Einsatz, wie der Fussballjournalist Davy Lane festhielt: «Es gab zugewiesene Steinewerfer, Spezialisten für das Umwerfen und Abfackeln von Fahrzeugen und Versorgungscrews, die wie ein Uhrwerk laufend Projektile lieferten.» Auch die medizinische Versorgung, die Zugangskontrolle auf den Platz oder die Abschirmung des Ägyptischen Museums soll von Ultras organisiert worden sein.
    Al-Ahly-Fans an vorderster Front


    Der Einfluss des Fussballs auf die ägyptische Revolution überrascht nur auf den ersten Blick. «Fussball war neben dem Islam die einzige Arena im Nahen Osten, in der die Menschen ihren Ärger und ihren Frust über die autoritären Regime in legitimem Rahmen loswerden konnten», schreibt James Dorsey, Autor eines Blogs mit dem bezeichnenden Namen «The Turbulent World of Middle East Soccer». Obwohl die Ultra-Szene in Ägypten noch relativ jung sei, habe sie bereits reichlich Erfahrung in Kämpfen mit der Polizei gesammelt.


    An vorderster Front mischen dabei die Fans von Al Ahly mit. Der Kairoer Verein – Stammklub des früheren Sion-Goalies Essam el Hadary – ist der wohl populärste Fussballklub Afrikas und jener «mit den politischsten Fans», so ein Kolumnist des US-Magazins «Sports Illustrated». Bereits bei der Gründung im Jahr 1907 habe sich dort der nationale Widerstand gegen die britische Kolonialherrschaft organisiert. Mit dem Lokalrivalen Zamalek, der als Klub der Reichen gilt, verbindet die Fans von Al Ahly eine bittere Feindschaft, die Derbys sind Hochsicherheitsspiele.


    Gestern
    Fußball-Drama in Ägypten: Ließ Polizei das Töten zu?


    Ägypten: Die Fans von Al-Ahli gelten als Speerspitze der Revolution
    Sind die Fußball-Fans in dem Stadion in Port Said unter Mithilfe bzw. unter Duldung der Sicherheitskräfte ums Leben gekommen? Diese Frage spaltet derzeit ganz Ägypten.
    Hintergrund: Die Fans von Al-Ahli gelten als die Speerspitze der Revolution. Und unter den Sicherheitskräften gibt es immer noch jede Menge Anhänger des gestürzten Husni Mubarak.
    Nach dem Spiel Al-Masri gegen Al-Ahli, das 3:1 für die Gastgeber ausging, stürmten die Fans von Al-Masri auf das Spielfeld und jagten Spieler und Anhänger von Al-Ahli, dem Klub aus der Hauptstadt Kairo.
    Es mehren sich die Stimmen, dass die Sicherheitskräfte im Stadion nichts oder zu wenig taten, um das Blutvergießen zu stoppen. Es starben mehr als 70 Menschen weitere 1.000 wurden verletzt. Die meisten wurden erdrückt und niedergetrampelt. Doch inzwischen wird auch darüber berichtet, dass Fans von Al-Ahli erstochen wurden.


    Nach Ansicht des Fan-Forschers Gunter A. Pilz war die Tragödie das Ergebnis von politischen Machtspielen. "Das hat weniger, fast gar nichts, mit typischen Fußball-Auseinandersetzungen zwischen Fans zu tun. Der Fußball in seiner großen Attraktivität wird hier benutzt, um politische Brutalitäten und Machtspiele durchzuführen", sagte der Universitätsprofessor aus Hannover in einem Gespräch .
    "Vieles spricht dafür, dass eine kritische Opposition von der militärischen Diktatur eingeschüchtert und mundtot gemacht werden soll. Der Fußball wird da nur benutzt und tradierte Feindschaften nur aufgegriffen", sagte Pilz. Fans seien instrumentalisiert worden.
    Vor allem die Rolle der Sicherheitskräfte bewertet der Fan-Forscher kritisch. "Nach meinen Informationen waren rund 3.000 Polizisten im Stadion sowie im Umfeld und haben sich das Ganze später fast nur angeschaut. Mit 3.000 Polizisten hätte man, wenn man das gewollt hätte, den Spuk schnell beenden können."
    Unterdessen haben die Fußballer des betroffenen Ligaclubs Al-Ahli angekündigt nie wieder einen Fußballplatz zu betreten. "Es ist vorbei. Wir haben alle eine Entscheidung getroffen, dass wir nie wieder Fußball spielen werden", sagte der Torhüter des Kairoer Vereins, Scharif Ikrami, dem Fernsehsender 'ONTV' laut einem Bericht von 'Bild.de'. "Da sind Leute vor unseren Augen gestorben. Wir können überhaupt nicht daran denken", sagte der Keeper. Al-Ahli ist der mit Abstand bekannteste und erfolgreichste Club des Landes und wurde allein 36 Mal Meister.





    Aktuallisierung:
    In Kairo haben sich tausende Fans zweier rivalisierender Stadtklubs zusammengetan, um gegen das Versagen der Sicherheitskräfte zu demonstrieren. Inzwischen stehen sie vor dem Innenministerium.
    Die schweren Ausschreitungen nach einem Fussballspiel in Port Said haben die Hauptstadt Kairo erreicht. Laut dem Newsportal «ahram online» demonstrieren zur Stunde Tausende Fussballfans vor dem Innenministerium. Anhänger der beiden Stadtrivalen Al-Ahly und Al-Zamalek hatten sich zuvor auf dem 500 Meter entfernten Tahrirplatz versammelt, um gemeinsam zu dem Protestmarsch aufzubrechen. Offenbar sind viele aus Angst vor Zusammenstössen mit der Polizei zurückgeblieben. Laut «ahram online» ist die Lage vor Ort äusserst angespannt. Zuvor hatten aufgebrachte Fussballfans bereits auf dem Sphinx-Platz und vor dem Parlament Parolen gegen den regierenden Militärrat skandiert. Die Opposition legte unterdessen nahe, der Militärrat habe die schweren Ausschreitungen geduldet, um Kritiker des Ausnahmezustands ruhigzustellen. Die Notstandsgesetze räumen den Sicherheitskräften weitreichende Befugnisse ein, sollen jedoch bald aufgehoben werden.


    Die Aktivistengruppe «6. April» warf den Sicherheitskräften vor, sich mitschuldig gemacht zu haben. Sie fragte am Donnerstag in einer schriftlichen Erklärung: «Ist es logisch, dass eine Truppe, die in der Lage war, eine Parlamentswahl in neun Provinzen zu sichern, nicht in der Lage ist, ein Fussballspiel zu sichern, bei dem Scharmützel zwischen den Fans zu erwarten sind?»


    Auch die Muslimbrüder, welche die grösste Fraktion im neu gewählten ägyptischen Parlament stellen, sparten nicht mit Kritik. Polizisten und Soldaten hätten sich am Tod von mindestens 74 Menschen mitschuldig gemacht, sagte der Abgeordnete Essam al Erian am Donnerstag. «Diese Tragödie ist ein Ergebnis vorsätzlicher Zurückhaltung von Soldaten und Polizisten», sagte el Erian.


    Parlamentspräsident Saad el Katatni warf den Sicherheitskräften vor, bei den Krawallen bewusst nicht eingegriffen zu haben, um «die Revolution in Gefahr zu bringen». Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Parlament, Abbas Mechimar, sagte: «Das war ein komplettes Verbrechen. Es ist Teil eines Szenarios, Chaos in Ägypten zu stiften.»

  • Tödliche Krawalle nach Urteil wegen Fußballmassakers


    26.01.2013 · Ein Jahr nach der schlimmsten Fußballtragödie in Ägypten mit 74 Toten werden gegen die ersten 21 Täter Todesurteile ausgesprochen. In der Stadt Port Said brechen daraufhin heftige Krawalle aus - die neue Todesopfer forderten.
    Wegen ihrer Beteiligung an den schlimmsten Fußballkrawallen in der Geschichte Ägyptens sind in Kairo 21 Menschen zum Tode verurteilt worden. Der mit Spannung erwartete Richterspruch wurde am Samstag vom Staatsfernsehen direkt übertragen. Für 52 weitere Angeklagte fällt der Richterspruch am 9. März. Die Verwandten und Freunde der Opfer jubelten, Angehörige der Verurteilten randalierten. In Port Said starben bislang 16 Menschen.
    Vor einem Jahr, am 1. Februar 2012, waren im Fußballstadion der Stadt Port Said 74 Menschen ums Leben gekommen. Unmittelbar nach Abpfiff hatten Fans des Gastgebervereins Al-Masri damals das Spielfeld gestürmt und waren mit Brechstangen, Messern und Schusswaffen auf die Fans des Kairoer Vereins Al-Ahly losgegangen. Von den Al-Masri-Fans wurden später 61 wegen Mordes angeklagt.


    Auch Polizisten angeklagt
    Neun Polizisten wurden wegen Nachlässigkeit im Dienst vor Gericht gestellt, weil sie die Fans vor dem Spiel nicht gründlich nach Waffen durchsucht hätten. Sie waren nicht unter den ersten Verurteilten. Auch drei Mitarbeiter des Vereins Al-Masri müssen sich verantworten.


    Aus Sicherheitsgründen wurde das Verfahren von Port Said nach Kairo verlegt und die angeklagten Al-Masri-Fans wurden aus Angst vor Übergriffen nicht zum Gericht gebracht. Der Urteilsspruch wurde von den anwesenden Angehörigen der Opfer mit „Allahu Akbar, Gott ist groß“ begrüßt. Als Ultras bekannte Fußballfans hatten in den vergangenen Wochen unter dem Motto „Gerechtigkeit oder Chaos“ mehrfach gewaltsam für eine hohe Bestrafung der Täter demonstriert. Anhänger des Vereins Al-Ahly feierten die Entscheidung der Richter.


    Eskalation in Port Said
    In Port Said dagegen eskalierte die Gewalt. Eine wütende Menschenmenge machte sich auf dem Weg zu einem Gefängnis, um die Verurteilten zu befreien. Es kam zu Zusammenstößen mit den Sicherheitskräften, Tränengas wurde eingesetzt. Zwei Polizisten und sechs Zivilisten kamen ums Leben, wie staatliche Medien unter Berufung auf das Innenministerium berichteten. Die Streitkräfte schickte Verstärkung in die Stadt.
    Die Fans in Port Said werfen den Richtern ein politisches Urteil vor. Jüngst hatte die Staatsanwaltschaft neue Beweise eingebracht, die in diesen Richterspruch nicht eingeflossen sind.


    Längst ein Politikum
    Der schwarze Tag im ägyptischen Fußball vor fast genau einem Jahr ist in dem nordafrikanischen Land längst zum Politikum geworden. Spekulationen, wonach die Al-Ahli-Fans wegen ihrer Beteiligung an den Anti-Regime-Protesten im Arabischen Frühling abgestraft wurden, haben sich zwar nicht bewahrheitet. Doch gilt die Tragödie als Symbol für die desolate Lage Ägyptens. Präsident Mohammed Mursi jedenfalls zählte die 74 Toten jüngst zu den offiziellen „Märtyrern der Revolution“.In wenigen Tagen wollen Regierung und Fußballrepräsentanten nun eine neues, friedliches Kapitel aufschlagen. Am 1. Februar soll die Fußball-Liga wieder starten....


    Quelle: FAZ.net


  • Irgendwo gab es einmal einen sehr viel besseren Artikel, der die politische Dimension stärker beleuchtet. Dass der politische Hintergrund thematisiert wird, ist vor allem deshalb wichtig, weil es sich eben mitnichten um "normale" Fußballkrawalle gehandelt hat, die mit den Scharmützeln hierzulande gleichsetzbar wären. Ohne dieses Wissen könnte der unbedarfte Leser schnell auf den (falschen) Trichter kommen, dass uns bald Ähnliches bevorstünde...