Kolumne: RB Leipzig doof finden – aber wie?
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„Anti RB“, „für Tradition, gegen Kommerz“, „gegen die Ösi-Brause“, „RB, der Vernichter des Leipziger Traditionsfußballs“. So lauten die Slogans, die sich gegen den Konzern Red Bull und seine deutsche Fußballfiliale in Leipzig richten und in fast allen deutschen Stadien anzutreffen sind. Vielerorts stoßen sie auf Beifall, nicht nur in den aktiven Fanszenen, sondern auch beim sogenannten normalen Publikum. Der Verein „RB Leipzig“, (noch) unter dem Namen „Rasenballsport“ Leipzig firmierend, gilt vielen deutschen Fußballfans als Feindbild. Doch bei genauerer Betrachtung der Kritikpunkte an RB entpuppen sich die meisten davon als Schwert mit stumpfer Klinge. Mehr noch, die RB-Gegner schneiden sich nicht selten selbst ins Mark. Grund genug, der Materie „Red Bull und der moderne Fußball“ einmal sachlich zu begegnen und aufzuzeigen, warum der Leipziger Retorte allerorts feindselig begegnet wird - und warum dies an Doppelmoral nicht zu übertreffen ist.
„RB Leipzig hat keine Tradition“
Anhänger von Vereinen – Ligenzugehörigkeit spielt hierbei keine Rolle – führen beim RB-Bashing regelmäßig die „Tradition“ ihres Vereins ins Feld. Und wahrhaftig, eine langjährige Vereinsgeschichte, über mehrere (Fan-)Generationen überlieferte Bräuche und einen bestimmten gesellschaftlichen Hintergrund seiner Fanklientel kann der Retortenklub nicht vorweisen. Dieses Argument, auf den ersten Blick schwerwiegend, wird jedoch ziemlich schnell entkräftet, wenn man sich vor Augen führt, dass kein Verein zum Zeitpunkt seiner Gründung und unmittelbar danach „Tradition“ vorweisen konnte – logisch. Diese kann sich eben erst im Laufe vieler Jahre entwickeln. So ernüchtert dies auch klingen mag: Sollte RB Leipzig funktionieren, werden seine Anhänger in 50 Jahren, vielleicht schon früher, ihren Kindern und Enkeln von der Tradition ihres Klubs vorschwärmen. Dass Tradition allein kein Qualitätsmerkmal ist, illustriert das Beispiel Fortuna Köln (1948 gegründet). Wohl kein Mensch käme auf die Idee, die Südkölner, die auf eineereignisreiche und teilweise erfolgreiche Vergangenheit zurückblicken können, wären ein attraktiverer Verein als beispielsweise der FC Hansa Rostock, der erst im Jahre 1965 das Licht der Welt erblickte.
Ebenfalls ein sogenannter Traditionsverein ist der Berliner Fussball-Club Dynamo. In der DDR holte der als „Stasi-Verein“ verschriene BFC zehnmal die Meisterschaft und schlug glorreiche Europapokalschlachten. Heute jedoch setzt sich noch immer ein nicht geringer Teil seiner aktiven Anhängerschaft aus rechten Schlägern zusammen und sämtliche Versuche, das Image der Ostberliner reinzuwaschen, sind fehlgeschlagen. Ich persönlich brauche diesen Verein nicht in höheren Gefilden – trotz seiner triumphalen Vergangenheit.
„RB Leipzig zelebriert den puren Kommerz“
Viele RB-Gegner prangern an, dass die im ehemaligen Zentralstadion ausgetragenen Fußballspiele zu einer reinen Werbeveranstaltung verkommen seien. Stimmt! In der Tat ist die Marke „Red Bull“ omnipräsent, überall im und mit dem Stadion wird – mal subtil, mal ganz ungeniert – für die rote Brause geworben.
Doch wie sieht es eigentlich in den anderen Stadien des deutschen Profifußballs aus? Ich habe in der letzten Saison zwei Bundesligaspiele besucht. Hamburger SV gegen Bayer 04 Leverkusen und FC Bayern München gegen den VfB Stuttgart. Obwohl das Geschehen auf dem grünen Rasen ein Fest für meine nicht gerade verwöhnten Fußballaugen war, habe ich mich selten so unwohl in einem Stadion gefühlt wie an diesen Tagen. Pausenlos wurde man mit Werbung bombardiert; vor dem Spiel, nach dem Spiel – und sogar während des Spiels! Der Höhepunkt war die mehr als einminütige Verkündung der Zuschauerzahl in der Hamburger (wie-hieß-sie-noch-gleich?)-Arena, bei der dem Zuschauer das komplette Firmenprofil des Zuschauerzahl-Sponsors heruntergebetet wurde. Nicht anders geht es bei den meisten anderen Profiklubs zu. Wenn beispielsweise Fans des „FC Gazprom 04“ gegen die Kommerzialisierung des Fußballs protestieren und im nächsten Moment Superstar Raúl nach dem Spiel zum Feiern in die Nordkurve bitten, muss ich nur (bitter) lachen. Von der moralischen Fragwürdigkeit des russischen Staatskonzerns wollen wir lieber gar nicht erst reden.
„RB Leipzig wird von einem österreichischen Millionär finanziert und gesteuert“
Egal ob Gazprom (Russland) auf Schalke, Emirates (Dubai) in Hamburg, Areva (Frankreich) in Nürnberg, Targobank als Tochter von Crédit Mutuel (Frankfreich) in Bremen und SunPower (USA) in Leverkusen – „ausländische Fremdbestimmung“, soweit das Auge reicht. Verteidiger der sogenannten Traditionsvereine werden entgegenhalten, die „50+1“-Regel hindere die Geldgeber daran, aktiv in Vereins- und Transferpolitik eingreifen. Ich behaupte: Tatsächlich zu glauben, Personen und Firmen, die über Jahre hinweg Abermillionen Euro in die Vereine pumpen, hätten bei entscheidenden Spielerkäufen nicht ein gehöriges Wörtchen mitzureden, ist reichlich naiv.
Mal ehrlich. Was soll dieser plumpe Populismus mit latent rassistischem Einschlag?
Welche Rolle spielt denn die Herkunft eines Mäzens, Financiers oder Sponsors bei dessen Wirken im Verein? Als ob die deutschen Unternehmen, die ihre Kohle in Bayern und Konsorten stecken, ein anderes Ziel verfolgen würden als die Steigerung des Bekanntheitsgrads und damit des Absatzes. Warum dies ausgerechnet einem Österreicher übel genommen wird, mag sich mir nicht erschließen.
Zugegeben, eine Ausnahme mögen Gönner mit regionalem Background wie Martin Kind (geb. in Walsrode bei Hannover, Eigentümer und Geschäftsführer der KIND-Gruppe) oder Dietmar Hopp (geb. in Heidelberg, also in der Nähe von Hoffenheim, Gründer von SAP) darstellen, denen man zugute halten kann, sich mit ihrem Engagement bei Hannover 96 und 1899 Hoffenheim eine Art Kindheitstraum zu erfüllen und nicht in erster Linie Geld zu verdienen.