Bloggeinträge

  • Sensationeller Saisonauftakt und viel Luft nach oben


    Quelle: Chemieblogger.de


    Die Ergebnisse stimmen, die Mannschaft hat noch viel größeres Potenzial, die Neugierde bei den Fans ist überwältigend und der Verband weiter skeptisch. Ein erstes Zwischenfazit


    Nach nur zwei Spieltagen ist es gewiss zu früh für ein erstes Zwischenfazit. Aber außergewöhnliche Zeiten erfordern nun einmal eben solche bloggerische Mittel. Es ist bemerkenswert, wie die Saison für die BSG Chemie Leipzig angelaufen ist – sowohl auf als auch neben dem Platz. Zum Auftakt gegen Eilenburg kamen 1690 Zuschauer. Damit hätte ich persönlich nicht gerechnet. Auch zum ersten Auswärtsspiel nach Markkleeberg sind viele Neugierige mit Chemie gereist. Gut 1000 Chemiker im Sportpark Camillo Ugi – so sieht Aufbruchsstimmung aus.


    Abstimmung mit den Füßen


    Im Kampf um die Vorherrschaft und Deutungshoheit im Leutzscher Fußball – ich will hier kein Blatt vor den Mund nehmen – bedeuten diese Zahlen einen klaren Punktsieg gegenüber der SG Leipzig-Leutzsch. Nach Plauen gegen Merkur Oelsnitz reisten mit Jamal Engel & Co. wohl 200 Anhänger, zum ersten Heimspiel gegen den VFC Plauen II sollen es 700 Zuschauer gewesen sein. Schon früh geisterte in Markkleeberg durch den Block, dass es tatsächlich gerade einmal die Hälfte davon gewesen wäre. Für mich ergibt das wenig Sinn: Mehr Zuschauer bedeuten mehr Abgaben und strengere Sicherheitsauflagen. Andererseits scheint die Engel-SGLL ja geradezu im Geld zu schwimmen. Da kann man es sich wohl leisten, die Zuschauerzahlen zu frisieren.


    Wie auch immer: Die Fans stimmen mit den Füßen ab, rennen der BSG Chemie, die sich auf der Mitgliederversammlung am vergangenen Freitag endlich von der Ball- zur Betriebssportgemeinschaft zurückgewandelt hat, derzeit die Türen ein. In Markkleeberg war ich kurz vor dem Kulturschock. Die Diablos waren – sehr wohl aus bestimmten Gründen, siehe weiter unten – kaum wahrnehmbar. Der Block ist bunt wie immer und gemischt wie lange nicht mehr. Zur Erklärung reicht einfach nur ein Wort: die pure Neugier. Zum Auftakt gegen Eilenburg fiel mir ein Mittelaltriger auf, der ein ausgewaschenes Shirt der Bohemians Praha trug. Lange, ungepflegte Haare, nur ein Beispiel für den Typus Leutzscher Original. Das ist Fußball. Und das ist die BSG Chemie.


    Diablos bleiben gutes Beispiel für kritisches Fanbewusstsein


    Das bedeutet aber auch, dass die Diablos, die dank der Mitgliederversammlung ihre prominente Stellung im Verein weiter stärken konnten, eine neue Rolle einnehmen. Seit drei Jahren waren die Leutzscher Ultras quasi identisch mit der BSG Chemie – zumindest in der Außenwahrnehmung. Das wird sich ändern, schon allein, weil sie künftig nicht mehr die Mehrheit im Block stellen. Das ist kein Problem, weder für die Leutzscher Fankultur im Allgemeinen noch für die Diablos im Besonderen. Letztere werden weiter unbequem und unangepasst bleiben – und damit auch ein gutes Beispiel für die übrigen Fans sein. In Markkleeberg herrschte Stille im Ultras-Block. „Old-School-Support“, wie das im Fanszenen-Jargon heißt: verhalten, spielbezogen, erst gen Ende hin auftauend.


    Der Hintergrund für den Stimmungsboykott: Im schmucken Markkleeberg werden für Sechstliga-Partien auch schon einmal Eintrittsgelder in Höhe von acht beziehungsweise ermäßigt sieben Euro aufgerufen. Bei rund 1000 Chemikern kann man sich damit die Klubfinanzen aufpolieren. Der geneigte Fußballinteressent kann sich für diesen stolzen Preis auch die 2. Bundesliga antun. Außerdem bewies sich die Polizei einmal mehr mit umfangreichen Kontrollen, die Kickers Markkleeberg sollen sich nicht an Absprachen aus der vorangegangenen Sicherheitskonferenz gehalten haben. Der stille Protest war verständlich und konsequent, aber nicht unproblematisch. Der Mannschaft wird er kaum geholfen haben. Und ein gros des übrigen Blocks die Ursachen mal wieder nie erfahren. Das übliche Kommunikationsproblem zwischen „Normalos“ und Ultras. Leider.


    … und zu Silvester spielen alle dritter Weltkrieg


    Überhaupt geht das ganze unrefelektierte und undifferenzierte Ultrà-Bashing weiter: Chemie steht beim Sächsischen Fußball-Verband offenkundig auf der Abschussliste. Die beeindruckende, kontrollierte Pyro-Show am ersten Spieltag sorgte für Respekt in der Szene und Unmut beim Verband. Und die Engel-SGLL übt sich in Populismus. (Das zwingt in Zynismus und Ironie: Wann werden die Diablos als kriminelle Vereinigung eingestuft? Wo bleiben konzertierte Hausdurchsuchungen? Sachsen, deine Innenpolitik!). Es ist müßig, an dieser Stelle zu erwähnen, welche Doppelmoral hinter diesem langweilenden Diskurs steckt. Ja, liebe sächsische Innenpolitik und liebe Fußballverbandsfunktionäre, ich freue mich auch schon auf das nächste Silvester, wo Millionen Deutsche mal wieder für den dritten Weltkrieg proben.


    Aber hey, is‘ ja Fußball hier. Und sportlich könnte es tatsächlich kaum besser laufen. Chemie liegt auf Platz zwei, unmittelbar hinter dem Kuckucks-Zwilling SG Leipzig-Leutzsch. Eine Momentaufnahme, mehr nicht. Die Tabelle wird sich noch früh genug bereinigen. Aber: Die BSG Chemie hat ein enormes Entwicklungspotenzial. René Behring ist ein sehr moderner, kommunikativer Trainer. Er spricht mit seinen Spielern und dem Umfeld, arbeitet transparent. Zwei Spiele und vier zu null Tore stehen auf der Habenseite – aber da ist noch viel Luft nach oben, sagt Behring. Beide Siege wurden trotz grundsätzlich großer fußballerischer Fähigkeiten im Team eher erarbeitet denn erspielt. Dazu kommen Verletzungssorgen. Und die Mannschaft muss sich noch finden, mehr an sich selbst glauben.


    Vor einer rosa-grün-weißen Zukunft?


    Schafft es Behring, das Team weiter voranzubringen, ist in dieser Saison viel, sehr viel drin. Das steht auch ganz oben auf der Wunschliste: Die lang ersehnten, hoch verdienten Früchte der letzten drei Jahre. Euphorie in Leutzsch. Eine transparente Vereinspolitik. Mitgliederbeteiligung. Und nun sportlicher Erfolg? Zurück zur Leutzscher Hölle? Der Weg ist kein leichter, es gibt viele Hindernisse und Gegner, Missgunst nicht nur beim Verband und der SG Leipzig-Leutzsch. Wir alle sind gefragt. Packen wir’s an.


    :daumen: