Alcatraz Interview mit Sven Schlüchtermann

  • 22.04.2012 18:00
    Von: Fanclub Alcatraz
    Quelle: chemie-leipzig.de sowie Homepage Fanklub Alcatraz


    Im Gespräch mit Sven Schlüchtermann


    Der gebürtige Dortmunder Sven Schlüchtermann war in den vergangenen Jahren einer der Garanten für den erfolgreichen Weg der BSG Chemie Leipzig in die Stadtklasse. Nach vielen Verletzungsquerelen hat sich das Zweikampfass einen festen Platz in der Landesligamannschaft erkämpft.
    Über seine sportliche und persönliche Situation, fußballphilosophische Fragen und darüber, welches der beiden Vereinslogos im Herzen des sympathischen 25-jährigen stärker schlägt, sprach der Fanclub Alcatraz für das Stadionheft "Fünfeck".


    Hallo Sven! Schön, Dich endlich im Interview zu haben. Damit bist Du auch der erste Spieler, der nicht erst zu Beginn der Saison zur BSG kam. Du bist einer der Aufstiegshelden, durch die die heutige zweite Mannschaft in der Stadtklasse spielen darf. Wie hast du die letzte Saison erlebt?

    Sven Schlüchtermann: Erst kürzlich habe ich mir wieder das Video vom 20. Spieltag der vergangenen Saison angeschaut. Es war das vorentscheidende Spiel um den Aufstieg im Camillo-Ugi-Sportpark in Markkleeberg gegen die zweite Mannschaft der Kickers. Ein Fußballspiel in der drittniedrigsten Spielklasse, zu dem sich bei anderen Vereinen höchstens die eigenen Eltern oder ein paar Freunde verirren würden. Nicht bei Chemie. Es waren um die 900 Zuschauer. Selbst meine Familie aus Dortmund war extra angereist. Wir haben damals einen 0:1-Rückstand gedreht und gewannen letztendlich 3:1. Aber nicht nur aufgrund des Ergebnisses war dieses Spiel eines der vielen Highlights einer wunderbaren Saison, die allen hoffentlich noch sehr, sehr lange in Erinnerung bleiben wird. Aber ob nun in Markkleeberg, beim SV Lindenau oder gegen den VfB Zwenkau III, jedes Spiel war etwas ganz besonderes und wir als Mannschaft haben halt versucht, unseren Teil dazu beizutragen, die BSG wieder ein kleines Stück nach oben zu bringen – uns deshalb heroische Taten zu bescheinigen, halte ich doch für etwas übertrieben. Wir haben einfach nur Fußball gespielt, und zwar in einem Umfeld, das uns doppelt motiviert hat. Der Verein und alle drumherum haben mir in diesem Jahr, in einer für mich persönlich sehr schwierigen Zeit, viel Kraft gegeben. Ich habe sehr viele neue Freunde gewonnen und unheimlich liebenswerte Menschen kennengelernt. Dafür bin ich sehr dankbar.

    Heute kämpfst Du immer mehr um einen Stammplatz in der ersten Mannschaft. Schon gegen Plauen II und Heidenau wurdest Du Mitte der zweiten Halbzeit eingewechselt. Gegen Markkleeberg und Grimma konntest Du sogar von Anfang an spielen. Wie groß ist der Unterschied im Leistungsanspruch zwischen erster und zweiter Mannschaft?
    Schlüchtermann: Das Spiel an sich ist körperbetonter, dynamischer und schneller, darüber hinaus ist der Landesligafußball mit einem deutlich höheren Aufwand verbunden. Aus zwei Trainingseinheiten pro Woche in der Vorsaison sind vier geworden. Dazu kommen noch wesentlich längere Anfahrten zu den Auswärtsspielen. Viel mehr ins Gewicht fällt allerdings die Tendenz des steigenden Leistungsdrucks. Unsere Gesellschaft ist halt eine Leistungsgesellschaft. Im Sport ebenso wie in den restlichen Bereichen des Lebens. Umso höher die Liga, desto größer die äußere Erwartungshaltung und der damit einhergehende Druck. Nach einer nicht so ansprechenden Leistung bekommt man das dann auch direkt zu spüren und sei es nur durch wenige Reaktion von den Rängen oder in diversen Foren und Kommentarspalten. Da kann man sich schon vorstellen, wie es in den höheren Ligen aussieht. Da begrüßt man es als Spieler doch sehr, dass es genug Leute bei Chemie gibt – natürlich allen voran unsere Ultras –, die auch hinter Mannschaft und Verein stehen, wenn es nicht so gut läuft.

    Du hast nun den Wandel im Verein hautnah miterlebt. Lass uns über die Fans reden. Welche Veränderungen gab es in der Fanszene nach dem Zusammenschluss mit Blau-Weiß und dem damit verbundenen Startplatz in der Landesliga?

    Schlüchtermann: Die Übernahme des Spielrechts war schon eine besondere Situation, sowohl für die Fans, die regelmäßig auf dem „99er“ zu finden waren, als auch für unsere damalige Mannschaft. Natürlich gab es viele kritische Stimmen – auch ich persönlich war der Ansicht, dass es sportlich nicht der aller ehrlichste Weg war –, aber auch viele, die eine neue Chance für die BSG sahen. Letztendlich stehen jetzt alle genauso hinter unserem Verein, wie es auch im letzten Jahr der Fall war. Und diese Unterstützung ist natürlich einzigartig. Mir ist es selbstverständlich auch weiterhin sehr wichtig, dass viele Leute den Weg zur unserer Stadtklasse-Mannschaft finden.


    Zuletzt wurden uns 3 Punkte abgezogen und der Verein bekam eine Geldstrafe von fast 1.000 €, weil wir innerhalb der Frist nicht fünf Schiedsrichter stellen konnten [mittlerweile haben wir dieses Soll aber erfüllt; Anm. d. Red.]. Wie sieht man so eine Strafe als Spieler und ist sowas gerechtfertigt, wenn man gerade die erste Saison in der Landesliga spielt?

    Schlüchtermann: Wahrscheinlich sind wir nicht der einzige Verein, der unter den Sanktionen leidet.
    Der Verband versucht mit diesen, meiner Meinung nach, unverhältnismäßig hohen Strafen, seine Vereine zur Einhaltung des Schiedsrichtersolls zu zwingen.
    Aus der Spielersicht ist natürlich sehr bitter, wenn die sportlich erbrachte Leistung durch die Urteile des Sportgerichtes abgewertet wird. Außerdem sollten Sonderfälle, aber vor allem die Bemühungen der Vereine zur Erfüllung des Schiedsrichtersolls berücksichtigt werden.
    Auf der anderen Seite wird auch deutlich, dass es immer schwieriger wird, Personen, die ehrenamtlich im Verein tätig sind, zu gewinnen. Gerade im Umgang mit den Unparteiischen sollte sich aber auch jeder fragen, wie man Sie in ihren Aufgaben unterstützen kann. Als Spieler erwischt man sich schon häufig dabei, die Schuld für alles dem Schiedsrichtern zu geben. Ein fairerer und respektvollerer Umgang wäre schon angebracht, ansonsten wird es immer häufiger dazu kommen, dass Partien ohne offizielle Schiedsrichter geleitet werden müssen.

    Letzte Woche ging es gegen Grimma. Du durftest wieder von Anfang an spielen. Bist Du zufrieden mit Dir und Deiner Leistung beim 3:1-Sieg?<

    Schlüchtermann: Physisch und psychisch bin ich noch nicht auf dem Leistungstand, auf dem ich gerne wäre und auch schon mal war. Wichtig ist für mich die Erkenntnis, dass ich in dieser Liga halbwegs mithalten kann und auch von der Mannschaft gut aufgenommen wurde – und das war in diesem sehr coolen Team definitiv der Fall.


    Mit Fußball allein verdient man in den Niederungen des Amateurfußball meist nicht genug, um zu leben. Was machst Du fernab des Fußballplatzes und dem Fünfeck auf der Brust?


    Schlüchtermann: Nach einer etwas längeren Pause habe ich mein Studium (Bachelor Sportmanagement) wieder aufgenommen. Somit ist es mir auch möglich, das Fünfeck beim Tischtennis, Geräteturnen oder beim Gymnastik-/Tanzkurs zu tragen.

    Bei unseren Recherchen fiel uns ein Foto in die Hände, auf denen Du samt Schal bei Borussia Dortmund zu finden bist. Wie kommt es zu diesem Fandasein bei der Borussia?


    Schlüchtermann: Meine Kindheit hab ich nur wenige Meter entfernt vom Westfalenstadion verbracht, in das mich dann mein Vater auch schon sehr früh mitnahm. Dortmund ist eine sehr fußballverrückte Stadt, der ich es dann wahrscheinlich auch zu verdanken habe, dass ich jetzt Fußball und nicht Basketball spiele. Das Foto ist allerdings nur entstanden, weil ich einem Freund, der Praktikant bei „11Freunde“ war, einen kleinen Gefallen getan habe. Die Mannschaft mag ich noch sehr gerne, aber wenn mich heute einer nach meinem Lieblingsteam fragt, dann gibt es zunächst eine andere Antwort.


    Jetzt hast Du es geschafft! Aber eine letzte Frage sei gestattet: Was möchtest Du den Fans und der Welt noch mitteilen?


    Schlüchtermann: Es gibt sehr, sehr viele Leute, die mit sehr, sehr viel Leidenschaft dabei sind und alles dafür tun, den Verein wieder so aufzustellen, wie er es verdient hat und ich denke, wir sind auf einem guten Weg. Wichtig ist allerdings, dass alle geduldig bleiben, kleinere Rückschläge akzeptiert werden und dass im Fokus bleibt, was langfristig dem Verein gut tut. Persönlich möchte ich mich nochmal bei allen bedanken, die mich in den letzten eineinhalb Jahren so unglaublich unterstützt haben.


    „Haltet die BSG in Ehren, dass Sie niemals untergeht“


    Vielen Dank, Sven, und weiterhin viel Erfolg!




    Wie ich finde sehr interessante und beachtenswerte Ansichten zum Leistungsdruck und der Freude im Leben . Geht fast schon Lebensphilisophisch zum Downshifting . :respekt:
    Sven Schlüchtermann ist meiner Meinung nach ein verdammter Glücksfall für die noch recht junge BSG -zumal er in Bezug auf unsere Vergangenheit völlig unvoreingenommen und unvorbelastet aus einer ganz anderen Ecke Deutschlands nach Leipzig gekommen ist. :daumen: :NdBSG: